Stellungnahme vom 15. September

Ständerat beschliesst unverhältnismässige Verschärfungen für vorläufig Aufgenommene

Der Ständerat hat heute ein Reiseverbot für vorläufig Aufgenommene beschlossen. Mit der Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) wird unter anderem ein Verbot für Auslandreisen für vorläufig Aufgenommene gesetzlich verankert. HEKS verurteilt diese Verschärfung und erachtet sie als unverhältnismässige Eingriffe in die Bewegungsfreiheit und in das Recht auf Familienleben.

Knapp 50'000 Menschen sind in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Zu diesen Personen zählen in der Regel auch Bürgerkriegsflüchtlinge z.B. aus Syrien oder Afghanistan. Sie werden in der Schweiz nicht als Flüchtlinge anerkannt. Sie erhalten lediglich den Status der vorläufigen Aufnahme. Die Konflikt- und Gewaltsituation in ihren Herkunftsländern dauern häufig über Jahrzehnte an. Die Schutzbedürftigen können daher nicht zurückkehren und bleiben dauerhaft in der Schweiz. Rund 14'000 der hier wohnhaften vorläufig Aufgenommenen (VA) leben schon seit mehr als sieben Jahren in der Schweiz und sind vom beschlossenen Reiseverbot besonders betroffen.

Beratungsstelle für Asylsuchende in Basel
Annette Boutellier

Reiseverbot verletzt Recht auf Familienleben

Bereits heute ist die Handhabung von Reisebewilligungen für vorläufig Aufgenommene sehr restriktiv. Nun folgt der Ständerat einer Vorlage des Bundesrates, die das Verbot von Auslandreisen für vorläufig Aufgenommene auf Gesetzesstufe verankert. Diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit (Art. 10 BV) und des Rechts auf Familienleben (Art. 14 BV) ist unverhältnismässig. Ein öffentliches Interesse, welches einen so einschneidenden Eingriff in die Grundrechte rechtfertigen würde, ist nicht erkennbar. Im Gegenteil: Das Reiseverbot bestraft kollektiv knapp 50'000 Menschen aus Furcht vor vereinzelten Missbrauchsfällen. HEKS lehnt eine solche Kollektivbestrafung ab, denn sie führt zur teilweise lebenslänglichen Trennung von Familien. Die verlorenen Familienangehörigen und Freunde nach der Flucht wiederzufinden und sie auch im Ausland besuchen zu können, ist jedoch für die Gesundheit und für die Integrationsfähigkeit von geflüchteten Menschen enorm wichtig, wie HEKS aus seiner Projektarbeit weiss.

Keine Ausnahmen auf Gesetzesebene

HEKS bedauert, dass der Ständerat diesen Erkenntnissen keine Rechnung trägt. Er verpasst es, Ausnahmetatbestände zum Reiseverbot auf Gesetzesebene zu verankern, wie dies der Nationalrat im Juni beschlossen hatte.  Der Nationalrat hatte vorgesehen, dass Reisen in den Schengen-Raum im Einzelfall bewilligt werden können, wenn sie im Rahmen des Schul- oder Ausbildungsbetriebes, zur Teilnahme an wichtigen Sport- und Kulturanlässen oder zur Aufrechterhaltung der Beziehungen zu nahen Familienangehörigen stattfinden. Dass der Ständerat auf diese Ausnahmen verzichtet, hat für die Betroffenen weitreichende negative Konsequenzen.

Noch immer zu restriktiv

Gleichzeitig erachtet HEKS auch die vom Nationalrat beschlossenen Einschränkungen als unverhältnismässig. Die grosse Mehrheit der vorläufig Aufgenommenen in der Schweiz hat enge Familienangehörige in Drittstaaten ausserhalb des Schengen-Raums. Die Möglichkeit, dass zum Beispiel ein afghanischer Vater in den Iran reisen kann, um dort seine zurückgebliebene Familie wenigstens für eine kurze Zeit wiederzusehen, ist auch mit der verschärften Gesetzesänderung des Nationalrats nicht mehr gegeben. Ebenso kann keine Bewilligung zum Zweck der Erwerbstätigkeit erteilt werden. Dies wäre gerade für die Arbeitsintegration von gut qualifizierten MigrantInnen mit internationalem Profil wichtig. Denn nur so könnten sie sich auch auf Stellen bewerben, die mit einer Reisetätigkeit ins Ausland verbunden sind. HEKS appelliert an den Nationalrat, keine weiteren Einschränkungen der Reisefreiheit zu beschliessen und die Ausnahmetatbestände zu erweitern.

Dieter Wüthrich
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