Stellungnahme vom 15. Juni 2021

Nationalrat will Reiseverbot für vorläufig Aufgenommene gesetzlich verankern

Der Nationalrat hat heute Änderungen im Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) beschlossen, unter anderem ein Verbot von Auslandreisen für vorläufig Aufgenommene. HEKS bedauert die beschlossenen Verschärfungen, begrüsst jedoch, dass der Nationalrat das Reiseverbot abschwächen und Ausnahmen auf Gesetzesstufe verankern will.

Knapp 50'000 Menschen sind in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Zu diesen Personen zählen in der Regel auch Bürgerkriegsflüchtlinge z.B. aus Syrien oder Afghanistan: Selbst wenn sie persönlich unter den verheerenden Folgen des Bürgerkriegs gelitten haben, werden sie in der Schweiz nicht als Flüchtlinge anerkannt. Sie erhalten lediglich den Status der vorläufigen Aufnahme. Die Konflikt- und Gewaltsituation in ihren Herkunftsländern dauern häufig über Jahrzehnte an. Die Schutzbedürftigen können daher nicht zurückkehren und bleiben dauerhaft in der Schweiz. Rund 14'000 der hier wohnhaften vorläufig Aufgenommenen (VA), leben schon seit mehr als sieben Jahren in der Schweiz. Vor allem für Kinder, Alleinerziehende, Kranke, Menschen mit einer Behinderung und ältere Personen sind die Hürden zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung praktisch unüberwindbar. Diese Personen sind vom beschlossenen Reiseverbot besonders betroffen.

Beratungsstelle für Asylsuchende in Basel
Annette Boutellier

Reiseverbot verletzt Recht auf Familienleben

Bereits heute ist die Handhabung von Reisebewilligungen für vorläufig Aufgenommene sehr restriktiv. Nun folgt der Nationalrat einer Vorlage des Bundesrates, die das Verbot von Auslandreisen für vorläufig Aufgenommene auf Gesetzesstufe verankert. Diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit (Art. 10 BV) und des Rechts auf Familienleben (Art. 14 BV) ist unverhältnismässig. Ein öffentliches Interesse, welches einen so einschneidenden Eingriff in die Grundrechte rechtfertigen würde, ist nicht erkennbar. Im Gegenteil: Das Reiseverbot bestraft kollektiv knapp 50'000 Menschen aus Furcht vor vereinzelten Missbrauchsfällen. HEKS lehnt eine solche Kollektivbestrafung ab, denn sie führt zur teilweise lebenslänglichen Trennung von Familien. Die verlorenen Familienangehörigen und Freunde nach der Flucht wiederzufinden und sie auch im Ausland besuchen zu können, ist jedoch für die Gesundheit und für die Integrationsfähigkeit von geflüchteten Menschen enorm wichtig, wie HEKS aus seiner Projektarbeit weiss.

HEKS begrüsst die beschlossenen Ausnahmen

HEKS begrüsst, dass eine Mehrheit des Nationalrates diesen Erkenntnissen Rechnung trägt und Ausnahmetatbestände zum Reiseverbot auf Gesetzesebene verankern möchte: So sollen Reisen in den Schengen-Raum im Einzelfall bewilligt werden können, wenn sie im Rahmen des Schul- oder Ausbildungsbetriebes, zur Teilnahme an wichtigen Sport- und Kulturanlässen oder zur Aufrechterhaltung der Beziehungen zu nahen Familienangehörigen stattfinden. Diese Änderung ist ein Schritt in die richtige Richtung und HEKS ist erfreut, dass die Beziehungspflege mit Familienangehörigen als besonderer persönlicher Grund explizit anerkannt wird.

Noch immer zu restriktiv

Gleichzeitig erachtet HEKS die Einschränkung der Ausnahmen auf den Schengen-Raum als unnötig und unverhältnismässig. Die grosse Mehrheit der vorläufig Aufgenommenen in der Schweiz hat enge Familienangehörige in Drittstaaten ausserhalb des Schengen-Raums. Die Möglichkeit, dass zum Beispiel ein afghanischer Vater in den Iran reisen kann, um dort seine zurückgebliebene Familie wenigstens für eine kurze Zeit wiederzusehen, ist mit der verschärften Gesetzesänderung nicht mehr gegeben. Weiter bedauert HEKS, dass die Erwähnung der Erwerbstätigkeit als besonderer persönlicher Grund, der eine Ausnahmebewilligung rechtfertigt, verpasst wurde. Dies wäre gerade für die Arbeitsintegration von gut qualifizierten MigrantInnen mit internationalem Profil wichtig. Denn nur so könnten sie sich auch für Stellen bewerben, die mit einer Reisetätigkeit ins Ausland verbunden sind.

HEKS appelliert nun an den Ständerat, den Änderungen des Nationalrats zu folgen und diese mit den oben genannten Punkten zu ergänzen.

Dieter Wüthrich
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