L'integration

«HEKS in-Fra»: 20 Jahre Integration für Frauen – und auch für Männer

Im Jahr 2000 startete HEKS in Amriswil das Pilotprojekt «in-fra» – Integration für Frauen. Heute, 20 Jahre später, ist HEKS im Kanton Thurgau die grösste Anbieterin von Sprach- und Integrationskursen für ausländische Frauen und Männer. Text: Andrea Oertli

Sprache für das tägliche Leben

Von eintönigem Frontalunterricht kann in den über 20 Sprach- und Integrationskursen, die «HEKS «in-fra»» jedes Semester durchführt, nicht die Rede sein. Der Unterricht ist aktiv und lebendig. In Kleingruppen spielen die KursteilnehmerInnen alltagsnahe Szenarios durch: «Grüezi, ich brauche einen Arzttermin, bitte.» «Ja gerne, wo haben Sie Schmerzen?» Auf dem Kursprogramm steht das Thema «Arztbesuch». Die Themen «Wie verabschiede ich mich?» und «Ein Telefonat führen» wurden bereits früher behandelt. Sie sollen nun in die Situation des Arztbesuches übertragen und nochmals geübt werden.

Sprache ist klar der Schlüssel zur Integration. Allerdings ist das Ziel der «in-fra»-Kurse nicht eine vollendete Grammatik, sondern dass die Teilnehmenden über das Vokabular und die nötigen Informationen verfügen, um sich in alltäglichen Situationen verständigen zu können. Diese Methode des handlungspraktischen und alltagsbezogenen Unterrichts ist heute schweizweit verbreitet. Insbesondere im Sprachförderungsprogramm des Bundes «fide» – «Français, Italiano, Deutsch in der Schweiz» –, in dessen Rahmen ausländische Personen seit Inkrafttreten der Integrationsagenda 2019 für die Erteilung einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung gewisse Sprachkompetenzen nachweisen müssen. «HEKS «in-fra»» verfolgt diesen Unterrichtsansatz mit Schwerpunkt auf Integration seit seinem ersten Kurs vor 20 Jahren.

HEKS in-fra: Sprachkurse in Gruppenarbeit
Annette Bouteiller

Integration ganz konkret

Die rund 300 Personen, die jedes Jahr an den Kursen teilnehmen, leben in der Regel noch nicht lange in der Schweiz. «Wir begegnen den KursteilnehmerInnen quasi an Tag eins, an dem sie in der Schweiz ankommen», erzählt Judith Schwanke, Programmleiterin von «HEKS in-fra». «Danach begleiten wir sie während zwei bis drei Jahren und können beobachten, wie sie selbstbewusster und selbstständiger werden.» Einige der Kursteilnehmenden verfügen über eine Niederlassungsbewilligung, andere sind anerkannte Flüchtlinge oder vorläufig aufgenommene Personen. Die meisten von ihnen werden über offizielle Stellen wie Sozialdienste, die Flüchtlingsbegleitung oder das Migrationsamt bei «in-fra» angemeldet. Für sie ist die Kursteilnahme Pflicht. Keine einfache, aber eine spannende Aufgabe für die «in-fra»-Kursleiterinnen, sagt Schwanke.

HEKS in-fra: Sprachkurse für Frauen und Männer
Annette Bouteiller

Mit ‹in-fra› befinden wir uns am Puls einer der grossen gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit: In unseren Kursen geht es darum, die Integration von MigrantInnen ganz konkret auf den Alltag herunterzubrechen.

Seit seinem Ursprung ist das «in-fra»-Kursangebot von der Überzeugung geprägt, dass Integration nicht nur eine Frage der persönlichen Motivation ist, sondern auch der Möglichkeiten. Im Jahr 2000 beobachtete HEKS, dass es für Migrantinnen mit Kindern sehr praktische Hindernisse gab, die ihnen die Integration erschwerten: Während die Väter meist über ihre Arbeit in Kontakt mit der Schweizer Sprache und Kultur kamen, waren viele Mütter aufgrund ihrer Kinderbetreuungspflichten an das Zuhause gebunden und hatten nur wenige Berührungspunkte mit der lokalen Gesellschaft. Ursprünglich von vier engagierten Frauen in Kreuzlingen entwickelt, übernahm HEKS deshalb die Idee von Integrations- und Sprachkursen, die speziell auf die Bedürfnisse von Frauen mit Kindern ausgerichtet sind: Unterricht zu Zeiten, in denen die älteren Kinder in der Schule sind; ein paralleles Betreuungsangebot für die kleineren Kinder; keine geschlechtergemischten Kurse, damit auch Frauen mit sensiblen Erfahrungen oder anderen kulturellen Hintergründen an den Kursen teilnehmen würden.

Bedarfsorientiertes Angebot

«Ein Projekt funktioniert dann gut, wenn das Angebot den Nerv der Zielgruppe trifft – ‹in-fra› ist dafür das beste Beispiel.» Gabriela Alfanz, heute Leiterin der HEKS-Regionalstelle Ostschweiz, war «in-fra»-Programmverantwortliche der ersten Stunde. Als sie für den allerersten Kurs in Amriswil Teilnehmerinnen suchte und über die lokalen Schulen eine entsprechende Information an Mütter mit Migrationshintergrund versandte, war sie unsicher, ob sich jemand melden würde. Doch das Angebot entsprach offensichtlich einem riesigen Bedürfnis: Innerhalb von zehn Tagen war der Kurs ausgebucht und «in-fra» begann, eine Warteliste zu führen. Heute ist HEKS im Kanton Thurgau die grösste Anbieterin von Sprach- und Integrationskursen. Den Erfolg von «in-fra» führt Gabriela Alfanz darauf zurück, dass HEKS sein Angebot im Verlauf der letzten Jahre laufend und kreativ an neue Situationen und Bedürfnisse anpassen konnte: Heute bietet HEKS an vier Standorten Deutschkurse auf verschiedenen Niveaustufen, Alphabetisierungskurse und den Fachkurs «Deutsch lernen beim Nähen und Handarbeiten» an. «Deutsch am Arbeitsplatz» ist zudem ein spezifisches Angebot für Firmen: Direkt am Arbeitsplatz vermittelt «in-fra» fremdsprachigen Mitarbeitenden das wichtigste Vokabular und kulturelle Verständnis, das sie für ihren Arbeitsalltag benötigen. Alle Kurse stehen mittlerweile auch für Männer offen, doch die Kinderbetreuung ist nach wie vor fixer Bestandteil aller Kurse.

HEKS in-fra: Deutsch am Arbeitsplatz
Annette Boutellier

«In-fra» in Zeiten von Corona

Ihre Kreativität und Anpassungsfähigkeit beweisen die «in-fra»-KursleiterInnen auch in der aktuellen Herausforderung durch die Corona-Pandemie. Während der Präsenzunterricht Mitte März abrupt eingestellt werden musste, liefen die Kurse bereits wenige Tage später über digitale Kanäle weiter. Beliebtestes Medium dabei: der Whatsapp-Chat. Nur die wenigsten Kursteilnehmenden verfügen über einen Computer, die meisten können aber auf ein Smartphone zurückgreifen. «Gerade in dieser Zeit der sozialen Isolation war es für unsere Zielgruppen wichtig, dass das Lernen weiter unterstützt und eine Tagesstruktur erhalten bleiben kann», so Programmleiterin Schwanke. Nun erfolgten die Aufgabenstellungen der Kursleiterinnen also schriftlich, in einer Sprachkonferenz oder per Videonachricht, genauso die Antworten der TeilnehmerInnen: «Sie haben die Fragen sehr gut beantwortet!» – «Danke vielmals. Hat mir Spass gemacht.» Und die Kinderbetreuung? Auch diese lief in angepasster Form weiter: Per Video waren die BetreuerInnen mit den Kindern in Kontakt und brachten mit Liedern und Spielen eine willkommene Abwechslung in die langen Tage in der Wohnung. Seit Juni können die Angebote, unter Einhaltung flankierender Schutzmassnahmen, wieder wie gewohnt stattfinden.

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